Virtuelle Realitäten: Das Mundwaschritual oder: Die Erfinder der künstlichen Intelligenz
Wurde ein neues Götterbildnis geschaffen, so bedurfte es in mesopotamischen Vorstellungen eines höchst komplexen, sich über mehrere Tage erstreckenden Rituals, um dem Bildnis Leben einzuhauchen. In der alttestamentarischen Götzenpolemik wurden solche Götter als Machwerk diskreditiert. In Jeremia 10,5 ist etwa von „Vogelscheuchen im Gurkenfeld“ die Rede. Ein großes Missverständnis, dem wir nicht auch noch anhängen sollten. Was uns so fremd und archaisch anmutet, ist uns, lassen wir den Blick von Altorientalisten und Religionshistorikern einmal außer acht, doch näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag, waren es doch mesopotamische Priestereliten, die vor 3000 oder mehr Jahren erstmals das Modell künstlicher Intelligenz beziehungsweise sich selbst schaffender Maschinen formuliert haben … (Bernhard Kathan)
Die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz ist nur einer von vielen Hinweisen für eine grundlegende Neubewertung des Tieres. Während Tieren im neunzehnten Jahrhundert bestenfalls Schmerzfähigkeit zugestanden wurde, so sind Tiere heute zu den eigentlichen Platzhaltern menschlicher Regungen geworden. Die Fähigkeit, Angst, Trauer oder gar Mitleid zu empfinden, zeichnet nicht länger den Menschen aus. Manche gestehen Tieren sogar religiöse Empfindungen zu. Dass Tiere gleichzeitig in einer noch nie dagewesenen Weise industriell ausgebeutet und verwertet werden, ist nur auf den ersten Blick als Widerspruch zu sehen. In Wirklichkeit handelt es sich – wie es der Kulturanthropologe Gernot Böhme formuliert – um die Kehrseite derselben Medaille.
Das Hörstück Eins ist Gott. Sechs Leben hat meine Geliebte. Für den Transport lebender Tiere zur Tötung hat der Landeshauptmann zu sorgen setzt an diesem Widerspruch an, allerdings ohne diesen aufzulösen oder gar zu beantworten. Seit den Anfängen der Tierschutzbewegung bildet die Schmerzvermutung den zentralen Drehpunkt all ihrer Behauptungen. Verständlicherweise spielten und spielen dabei jene Schmerzen, die Tieren während des Tötungsaktes zugefügt werden, eine besondere Rolle. Erfahrungen wie Schmerz und Tod haben in den letzten hundert Jahren einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren. Tierdiskurse sagen letztlich wenig über das Schmerzempfinden der Tiere, in ihnen spiegeln sich vor allem menschliche Ängste. In ihnen wird vorweggenommen wie der Tod des Menschen in Zukunft organisiert sein wird. Die Vorstellung vom friedlichen Einschlafen, vom schmerzfreien Tod ist allemal problematisch. Ohne Mühe ließe sich belegen, dass eben diese Vorstellung nicht nur die Konsumenten beruhigt, sondern in der praktischen Umsetzung zu einem enormen Beschleunigungsschub in den Schlachthöfen geführt hat.
Das umfangreiche Textmaterial des Hörstücks besteht im Kern aus Anleitungen wie gesetzlichen Regelungen zur Frage “richtigen” Tötens von Tieren. Es handelt sich in einem gewissen Sinne um Abfallmaterial, welches während vieler Jahre in Forschungsprojekten, in denen ich mich mit dem Mensch-Tier-Verhältnis beschäftigt habe, angefallen ist. Das Hörstück ist auch ein Versuch, eine – auf das Thema bezogene – sinnliche Dimension zu öffnen, die in kulturhistorischen Abhandlungen nicht oder nur bedingt möglich sein kann.
Die Reaktionen auf das Hörstück sind sehr unterschiedlich. Manche halten mich für einen Tierschützer und Vegetarier. Ich esse Fleisch, wenn auch in Maßen. Tierschützer bin ich nicht, auch wenn ich mich für Tiere interessiere, dem Geschrei von Mardern oder dem Blöken von Schafen aufmerksam zuhöre oder selbst kleinsten Insekten meine Aufmerksamkeit schenke. Andere wiederum vermuten die Lust an der schaurigen Beschreibung. Die Beschäftigung mit Schmerz und Tod, letztlich mit der Zerbrechlichkeit des Lebens, ist alles andere als vergnüglich.
Der Text ist nach exakt festgelegten Regeln montiert. Günther Zechberger hat diesen in einer für mich sehr überzeugenden Weise musikalisch umgesetzt. Das Verhältnis von Text und Musik bzw. Geräuschen zählt in Sprechstücken zu den wesentlichen Herausforderungen. Wir waren uns darin einig, dass Text und Musik als komplementäre und gleichwertige Teile des Ganzen zu sehen sind, dass es assoziative Räume zu öffnen und zu erschließen gilt. Aber vergessen Sie dies alles! Hören Sie einfach hin, vielleicht so, als wären sie unvermittelt in ein postmodernes Passionsbild gerutscht.
Bernhard Kathan, 10.1.2003
Sophie Wendt — Sprecherin Florian Eisner, Franz Kaslatter — Sprecher Elisabeth Nicolussi — Mezzosopran Ernst Theuerkauf — Viola Stephan Becker — Saxophon Karlheinz Siessl — Tuba Gerhard Gruber — Perkussion